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Rheinbreitbacher Schutzengel


Der Rheinbreitbacher Schutzengel 

(Nach einer Schilderung von Jakob Faber, Hauptlehrer i. R., nacherzählt und illustriert von Dankward Heinrich)

Die Stiftung
Es war in den 1870er Jahren, da stiftete eine Schlosserfamilie Nuss der Pfarrgemeinde Rheinbreitbach eine zinkgegossene Figur eines Schutzengels. Dieser wurde auf die Brunnensäule vor dem Gotteshause aufgestellt. Verbunden war die Stiftung mit dem frommen Wunsch, der Schutzengel der Gemeinde möge seine Hand halte über die Frauen, die dort Wasser holten und über die Kinder die dort spielten. 


Der Brunnensäule mit dem Schutzengel auf dem Kirchplatz vor der Rheinbreitbacher Pfarrkirche 1909
Quelle: Heimatverein Rheinbreitbach


Erstes Verschwinden des Schutzengels
Als das Dorf im Jahre 1889 seine Wasserleitung erhielt, wurde die überflüssig gewordenen Wasserpumpe an einen jüdischen Bürger in der Nebenstraße, heute Burgstraße, verkauft. Dieser entfernte zusammen mit der Pumpe auch den Schutzengel. Dies erboste die Dorfbevölkerung so sehr, dass sie ihm den Schutzengel wieder mit Gewalt abnahmen und wohl wieder an seinen angestammten Platz brachten.



Pfarrkirche, Pütz mit Schutzsengel
Quelle: Heimatverein Rheinbreitbach





Die Brunnensäule mit Schutzengel von der Pfarrkirche aus gesehen
mit Blick auf die Kreuzung Op de Brück,  Hauptstraße, rechts Magdalenenhof

Quelle: Heimatverein Rheinbreitbach

Neue Aufstellung des Schutzengels
Im Jahre 1929 wurde nun auch die Brunnensäule abgerissen. Der damalige Gemeindevorsteher Heinrich Westhofen brachte die Schutzengelfigur in das Pfarrhaus, das alte Pastorat in der Kirchgasse (ehemals Badejässje). Pfarrer Alfred Ermert liess sie auf der Mauer aufstellen, die das Pastorat an der Korfjass (heute Westerwaldstraße) und Kirchgasse umgab.




Pfarrer Alfred Ermert
Quelle: Brungs: Geschichte Rheinbreitbachs, 1952


Eine neue Regierung und ein neuer Bürgermeister
Nach einigen Jahren gab es in Deutschland eine neue Regierung, die es mit sich brachte, dass Rheinbreitbach auch einen neuen ihr genehmen Bürgermeister namens Ernst Weitze erhielt, der als Pächter des Grafen von Renesse-Breitbach in der Unteren Burg residierte und das dortige Gut wohl mehr schlecht als recht verwaltete. 




Das gräfliche Gut mit der Unteren Burg um 1939
Quelle: Heimatmuseum Rheinbreitbach


Der Bürgermeister und die katholische Kirche
Früh machte Bürgermeister Weitze deutlich, was er von der katholischen Kirche hielt. So blieb er mehrere Jahre die zwei Malter Korn der Kirchengemeinde Rheinbreitbach schuldig, die er als Pächter des gräflichen Gutes jährlich zu liefern hatte. Diese Belastung ist im Grundbuch des Grafen als Stiftung für das Achtuhrläuten von Michelstag (29. September) bis Josefstag (19. März) eingetragen und wurde vom Grafen seinen Pächtern der Unteren Burg aufgetragen.



Altes Pfarrhaus / Pastorat - Auf einem der Pfosten stand der Schutzengel
Quelle: Heimatverein Rheinbreitbach


Ein gestürzter Schutzengel
In der Nacht vom 8. auf den 9. Januar 1938 zog eben dieser Bürgermeister nach einem Trinkgelage mit einigen seiner Mitzecher durch den Ort. Unter Gröhlen und Schiessen wurde die Schutzengelfigur von ihrem Postament am Pfarrhause heruntergeworfen. Dabei verletzte sich der Bürgermeister schwer an seinem Bein.

Am nächsten Tag fand Pfarrer Ermert die beschädigte Figur auf der Straße. Der Pfarrer meldete den Vorfall sowohl der Gemeinde als auch der Polizei. Im Ort bezeichnete man den Bürgermeister Weitze, eine Flurschützer und den Sohn eines bekannten Dichters aus der Oberen Burg als Täter. Der wochenlang im Streckverband liegende Weitze gab schliesslich bei der polizeilichen Vernehmung zu, er habe die Figur herumdrehen wollen, dabei sei sie zu Boden gestürzt. 


Die Obere Burg um 1940, Herzogsburg genannt
Quelle: Heimatmuseum Rheinbreitbach


Zweites Verschwinden des Schutzengels
Am nächsten Tage nahm der ebenfalls in Rheinbreitbach wohnende Landrat des Landkreises Neuwied, Dr. Reppert trotz des Protestes des Pfarrers die Figur mit, mit dem Versprechen, sie nach Untersuchung auf Schussabdrücke zurückzugeben. 

Später aber liess der Landrat dem Pfarrer durch den Unkeler Amtsbürgermeister Major Hartdegen mitteilen, dass der beschädigte Zinkschutzengel Eigentum der Gemeinde Rheinbreitbach sei. Die Schenkung durch den Ortsvorsteher Westhofen an die Kirchengemeinde hätte als Voraussetzung einen ins Beschlussbuch eingetragenen Beschluss haben müssen. Diese Genehmigung sei durch den Kreisausschuss nicht erfolgt. 

Dazu erklärte die Tochter des Stifters Nuss, eine hochbetagte Frau Schneider aus Honnef, dass ihre Eltern die Figur nur der Kirchengemeinde schenken wollten, dies besage schon ihre Gestalt. Der Wille ihrer Eltern einer Schenkung an die Zivilgemeinde Rheinbreitbach wäre völlig ausgeschlossen gewesen. 

Offen blieb die Frage, wo die Schutzengelfigur geblieben war. Blieb sie in der Altertumssammlung des Landrats oder sonstwo? Jedenfalls war im Protokollbuch der Gemeindeverwaltung ein Schenkungsbeschluss ebenfalls nicht eingetragen.  

Die ganze Sache war der Behörde sehr peinlich und wurde es noch mehr, als der Pfarrer Ermert sich verbat, die Figur reparieren zu lassen und als Bürgermeister Weitze vom 21. März auf den 22. März 1938 in den Pfarrgarten eindrang und Beschimpfungen und Drohungen gegen den Pfarrer ausstiess. Pfarrer Ermert machte der Polizei wieder Meldung von dem Vorfall - ohne Strafantrag zu stellen. 




Ort des Geschehens um 1940: Der Ortskern von Rheinbreitbach
unten Mitte Gasthof Zur Post, Kirchplatz, rechts am Kirchplatz befindet sich das Friseurgeschäft, an Stelle der Fahnenstange stand früher der Dorfbrunnen mit dem Schutzengel, Bildmitte rechts das alte Pastorat

Quelle: Heimatverein Rheinbreitbach


Der Landrat und das Gedicht vom gefallenen Engel
Wie später bekannt wurde, versuchte der Landrat das Vorkommen zu bagatellisieren und aus der Welt schaffen. So veranlasste Dr. Reppert einen ehemaligen Katholiken, ein Spottgedicht im Nationalblatt (Neuwieder Beobachter) zu veröffentlichen, das die Geschehnisse auf den Kopf stellte, und am 25. Januar 1938 in der genannten Zeitung zu lesen war. Im Wortlaut:


Zauberspuk nach Mitternacht 

(Eine heitere dörfliche Ballade)

In dörflicher Kneipe in fröhlicher Rund
sass ein Freundestrio in fröhlicher Rund.
Es kreiste der Humpen emsig, der volle.
Die Burgkinder spielten dabei auch eine Rolle.

Dann aber ist lange nach Mitternacht
bei dem Trio "Der Abenteurer" erwacht.
Wie einmal "Die Hanseaten", 
gelüstete sie's nach rühmlichen Taten.

Bei einem Friseur, da hing ein Schild.
Das machte das Trio eifrig und wild.
Sie versuchten zu heben es aus den Angeln,
doch die Muskelkraft tät zu dem Werke mangeln.

Im Dunkel der Nacht am Pastorat
stand ein Zinkgussengel im bunten Ornat.
Den hat einer von den drei Nachtgestalten
für einen Räuber oder einen Spatz gehalten.

Schon war der Entschluss reif, kühn und rasch
zog er das Schiesseisen aus der Tasch'.
Spatz oder nächtliches Ungeheuer!
Legt an, gezielt und dann "Gebt Feuer!".

Die Dörfler erwachten jäh aus dem Schlaf
als der Schütze statt des Spatzen den Engel traf.
Und so fiel statt des Spatzen vom Firmamente
just ein Zinkgussengel vom Postamente.

Und er fiel dem einen der Drei auf's Knie,
so dass er laut vor Schmerzen schrie.
Dabei war er gänzlich unbeteiligt,
wenn er auch zum Heimgang sich nicht beeiligt.

Da lag er nun mit gebrochenem Bein
und es sprachen die Frommen: "Vergeltung muss sein".
Und als ihn die Freunde nach Hause schleifen,
hört er im Himmel all die Englein pfeifen.

Die Nönnen und Betbrüder sah man stehn
in heiligen Schauern vor solchem Gescheh'n.
Und sie haben mit Schiller fromm gesprochen:
"Seht, der Engel hat sich selber gerochen (gerächt)!"

Doch als der Pastor die Geschichte vernahm,
erfüllte sein Herz Bekümmerung und Scham.
Er wetterte furchtbar vom Predigerstuhle
von Kulturbolschewismus und Höllenpfuhle.

Und er ging hin von Übereifer entflammt,
zur Gemeinde und hielt ein Sühneamt.
Und dachte dabei mit praktischer Kühle:
Der Fall leitet Wasser auf unsere Mühle.

Die Sünder beteuerten unschuldigen Gesichts:
"Unser Name ist Hase, wir wissen von nichts!"
Die Behörde sprach drauf voll Ernst und Missfallen:
"Es ist nie schon ein Engel vom Himmel gefallen."

Die Wirtin allein trug dauernd die Last,
denn der Volkswitz hat sie am Rockschoss gefasst.
Ihr Lokal hiess von da ab im ganzen Sprengel
nur noch das "Gasthaus zum gefallenen Engel".

Und die Moral von dieser Geschicht:
Bleibt Philosophen und ereifert euch nicht.
Ihr erspart euch und anderen Ärger und Tücke,
macht nie einen Elefanten aus einer Mücke.

gez. a - z


Darunter stand in der Zeitung der Zusatz zu lesen:
"Wie wir von zuständiger Stelle hören, wurde auf den der Gemeinde gehörenden Gussengel weder geschossen, noch ist derselbe bei seinem Sturz auf jemanden gefallen. Das Gedicht kennzeichnet treffend wie die böse Feme Greuelmärchen entstehen lässt."




Friseurladen am Kirchplatz 4 vor 1950 mit Friseurschild
Quelle: Heimatverein Rheinbreitbach


Nachwort
Bürgermeister Weitze wurde 1938 von der Behörde abgesetzt und im Nachgang zum Ortsbauernführer ernannt, was ihn wohl vor dem Kriegseinsatz bewahren sollte.

Am 20.10.1938 wurde er durch Rudolf Heinrich ersetzt, der bis Kriegsende Bürgermeister in Rheinbreitbach blieb und von 1953 bis 1960, nun demokratisch, erneut zum Bürgermeister des Ortes gewählt wurde.

Die Figur des Schutzengels aber haben die Rheinbreitbacher bis heute noch nicht zurück erhalten!




Der Dorfbrunnen mit Schutzengel auf dem Kirchplatz um 1920
im Hintergrund links die Untere Burg, rechts die Pfarrkirche

Quelle: Heimatverein Rheinbreitbach, Zeichnung von Franz Neunkirchen


Kirchplatz mit Dorfbrunnen und Schutzengelfigur, links Margarethenhof
Quelle: Heimatverein Rheinbreitbach, Zeichnung von Franz Neunkirchen















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