Müller, Adolph


Adolf Müller ("decke Mülle") (21.7.1831 - 5.11.1915)



  • Reicher Rheinbreitbacher Weinhändler, Winzer und Lohgerber
  • Der Vater, Peter Joseph Müller, geb. in Münstereifel, gest. 1878 in Rheinbreitbach war Gerber.
  • Verheiratet in 1. Ehe mit Catharina Stolze und in 2. Ehe mit Ida Pesch.
  • Ab 1867 Mitglied der Rheinbreitbacher Brandwache 
  • Um 1868 früherer Besitzer des Anwesens des heutigen Rheinbreitbacher Heimatmuseums, Hauptstraße 29, früher Haus Nr. 166 
  • 1876 Ortschulvorstandsmitglied
  • Von ca. 1888 bis 1900 Beigeordneter der Landbürgermeisterei Unkel

Adolph Müller 1894 wieder zum Beigeordneten gewählt
Quelle: HVZ 8.11.1894

  • Gehörte trinkend zu Honnef "Und mir fünf Flaschen Wein und ein Glas"
  • Danach brachte ihn der Droschkenkutscher heim und rief wohl manches Mal "Frau Mülle, ich brängen üch ühe Sau; soll ich se füe de Düe läje?" Sein 2. Frau (oo 85.1860) hieß Ida, geb. Pesch *1833.
Quelle u. a.: Franz Josef Schneider: Ufer und Strom, Bad Honnef - Rhöndorf 1970, S. 59, 60

  • 1911 literarisch verewigt vom Rheinbreitbacher Schriftsteller Rudolf Herzog in seinem Rheinbreitbach-Roman "Die Burgkinder" als Weinhändler "Adolf Schmitz".



Quelle: HVZ 5.11.1915






Familiendaten:
Beruf: Weinbau, Weingutbesitzer, Weingroßhändler, Gerberei 
Konfession: röm. kath. geboren: 1830 
Einsegnung: 21.5.1843 Rheinbreitbach, Kirche: St Maria Magdalena 
Gestorben: 5.11.1915 Rheinbreitbach, begraben: 8.11.1915 Rheinbreitbach, gestorben 85jährig
Vater: Gerber Peter Joseph Müller aus Münstereifel[... - 10.4.1878 (1 Kind)] 
Mutter: Mechthild Berg [20.2.1790 - 20.12.1879 (1 Kind)] 

1. Ehe mit Catharina Stolze, oo 1854, *1831 in Köln + 23.08.1858 
             3 Kinder: Peter Joseph Müller [01.09.1855 - 20.10.1900] 
             Heinrich Hubert Müller [14.12.1856 - 30.09.1857] 
             Anna Maria Gertrud Müller [06.07.1858] 

2. Ehe mit oo 8.5.1860, Ida Pesch [1833 - 10.4.1916 ] 
             3 Kinder: Agnes Müller [5.3.1861 - 29.11.1889] 
             Maria Mathilde Hubertina Müller [25.2.1862] 
             Jakob Müller [17.1.1865 - 6.5.1886] 
Goldhochzeit gefeiert am 8.5.1910

Anmerkungen: 
Aus Honnef ?, 

Wohnort: Rheinbreitbach, Hauptstr. 29, ehemaliger Eigentümer
Viele Ehrenämter in der Gemeinde und im Kreis 
Ab 1867 Brandwache Rheinbreitbach
1876 Mitglied im Ortschulvorstand
Beigeordneter in Unkel 

Quellen: 
Familienforscher Hartmut Hölzer
Nicht in * Rheinbreitbach Taufbuch Pfarre, Rheinbreitbach
Aufstellung Kommunion 1843/281, 
+ Rheinbreitbach KbN 998 1915/21


Auszüge zu Adolf Schmitz aus "Die Burgkinder":




IV
... „Jch habe viele Länder der Erde gesehen. Keins so schön wie unser rheinisches Land. Und am ganzen Rhein fand ich nichts, diesem Flecken Erde vor uns zu vergleichen. Ob ich draußen in der Welt mächtige Gebirge sah mit ewigem Schnee auf den Häuptern und Eisgletschern in den Flanken, ob ich phantastisch geformte Gipfel und unendliche Ketten erschaute — nichts, nichts so ergreifend wie dieser stille Zug der sieben Berge. Wie viele Märchen und Sagen hat das Volk hineingebannt, von Schneewittchen bei den sieben Zwergen, von Siegfried, der den Drachen erschlug, vom Helden Dietrich von Bern, der den Riesen tötete, von wilden Jägern, Schatzjungfrauen, glühenden Männern und Heinzelmännchen. Dort oben, auf steil zum Rhein abstürzender Klippe, seht ihr die Ruine Drachenfels ragen. Malt euch das Bild aus: Gipfel bei Gipfel mit einer Burg gekrönt. Die Wolkenburg, die Rosenau, die Löwenburg. Denkt sie euch gegen den Abendhimmel stehen, von der Abendsonne glühend umschmeichelt. Die Stürme der Kriege haben sie hinweggefegt von den Bergen, nicht aus unserer Phantasie."
„Dort vor uns im Dorf liegt ein großes Burghaus. Wem gehört es?"
„Das ist die Burg der Freiherren von Breitbach, von denen unser Dorf den Namen hat. Einst, vor langen Jahren, war die Burg, auf der wir stehen, mit der anderen dort vereinigt."
Und die Kinder blickten hinüber und winkten mit den Tüchern, als grüßten sie ihre ritterbürtigen Brüder und Schwestern.“


V

Die Weinlese fiel spät in diesem Jahr, und der schöne Herbst hatte einen schlechten Sommer nicht mehr gut» zumachen vermocht. Nur wenige und geringe Trauben hingen an den Stöcken, als man in den ersten Tagen des Novembers die Weinberge öffnete. Man merkte, daß die rings im Quartier liegenden Soldaten schon Vorlese ge» halten hatten.

Der Alte von der Burg ließ niemanden die Bestürzung gewahren, mit der er den Segen des Herbstes überblickte. Er berechnete, daß der Erlös gerade für den billigen Mietzins reichen würde, den er an den Prior des Kölner Klosters, des Eigentümers des Burgwesens, abzuführen hatte, und seine Gedanken richteten sich ernst auf den kommenden Winter.

Auch Joseph war nicht so aufgeräumt wie bisher, und als er seinem Herrn den Besuch des Weinhändlers Schmitz meldete, des wohlhabendsten Mannes der Ortschaft, der alljährlich die Trauben anzukaufen pflegte, tat er es mit verdrießlichem Gesicht.

Der Hausherr ging dem Gast entgegen. Es war ein schwerer Mann von gewaltigem Körperbau, der ihn im Hof erwartete, mit gerötetem Gesicht, kleinen, klugen Augen, die aus ihrer dicken Umpolsterung scharf in die Welt zu blicken verstanden, und rötlichweißem Bart und Haar. „auf ihn zuging und ihm die Hand reichte.

„Treten Sie ein, Herr Schmitz, wir werden diesmal — leider Gottes — unsere Geschäfte recht schnell abgewickelt haben."

„Dat war' schad, Herr. Die Stund' bei Jhnen is mir immer angenehm." Die Stimme klang tief und rollend.

„Die Stunde wollen wir auch halten. Und eine Flasche werden wir trotz der schlechten Zeiten miteinander trinken können. Sie sind ein so erfahrener Mann, daß ich jedesmal von Jhnen lerne."

Der starkleibige Mann trat ins Haus. „Zu viel Ehre, Herr, wahrhaftig. Jch hab' mir nur den Wind um die Nas' wehen lassen und bin nit im Dorf hängen geblieben. Dat is dat ganze Kunststück."

Er setzte sich, und der Holzstuhl knarrte. „Na, da wären wir mal widder. Et is en faulen Herbst."

Der Hausherr holte Flasche und Gläser und schenkte ein. „Willkommen, wie immer." Und sie leerten beide das Glas.

Eine Weile blieb es still zwischen ihnen. Dann sagte der Alte von der Burg: „Es lohnt sich kaum, daß Sie die paar Bottiche besichtigen, Herr Schmitz. Jch schicke sie Ihnen zum Verwiegen, und Sie zahlen mir, was Sie schätzen."

„Jhr Vertrauen ehrt mich, Herr. Jch könnt' Sie schön betrügen."

„Ein Adolf Schmitz betrügt nicht."

„Dat haben Sie gut gesagt. Darauf wollen wir mal trinken."

Er nahm selbst die Flasche und schenkte ein. Schwipp» voll bis zum Rande. Und mit Genuß ließ er den Wein hinuntergleiten. Dann wischte er sich umständlich den Bart, faltete die Hände über dem Bauch und meinte: „Die Familie hat sich arg vergrößert. Mr sucht sich sons gewöhnlich enen besseren Herbst dafür aus."

„Waisenkinder können nicht auf einen guten Herbst warten, Herr Schmitz. Darin denken Sie doch wie ich."

„Dat tu' ich, weiß Gott. Aber ich befrag' doch auch meine Geldkatz'."

Der Hausherr lächelte. „Der Sorge war ich enchoben. Und an der Armut kann immer noch einer teilnehmen."

„„Herr," sagte der andere mit seinem tiefen Baß, „allen Respekt, Sie sind, wat mer en ganzen Kerl nennt. Entschuldigen Sie, dat ich so frei bin. Wer Männer wie Sie dürfen nit arm sein. Ne, ne, dat dürfen se nit."

„Jch hab' drei Jungen und ein Mädel, da bin ich nicht arm."

„Jch hab' einen Jung', der is schon so schwer wie ich. Aber et Geschäft is auch groß un trägt et. Verstehen Sie mich recht, ich will hier nit protzen. “

„Aber die Magenfrage is die Unterlage von et Leben."

„Meine Kinder haben bis heute noch nicht gehungert," sagte der Hausherr, „und solange ich mit dem Joseph schaffen kann —"

Der starkleibige Mann beugte sich vor und legte ihm die Hand auf den Arm.

„Weiß ich doch, Herr, weiß ich doch. Woher wär' sons mein Respekt? Na, nu will ich Ihnen mal wat sagen. Aus lauter Respekt — aus lauter Respekt kauf' ich Jhnen Jhre Trauben nit ab."

„Aber Herr Schmitz — was sind das für Scherze?"

„Dat sind keine Scherze. Jch kauf' se Jhnen nit ab. Un da können Se mir gute Wörter geben so viel Se wollen."

„Ja — Herr Schmitz — wenn das Jhr Ernst ist — was soll ich denn mit meinen Trauben nur anfangen?" „Welche dazu kaufen."

Der Hausherr stand auf. Er ging ein paarmal durchs Zimmer und blieb vor seinem Gast stehen.“

„„Herr Schmitz, Sie sind ein Ehrenmann. Also sagen Sie mir, weshalb soll ich noch Trauben aufkaufen, wenn Sie mir schon die paar Bottiche nicht abnehmen wollen. Das ist doch ein Widerspruch in sich selbst."

Der schwere Mann lachte ein gemütliches, rollendes Lachen.

„Dat is gar kein Widerspruch. Und wenn Se nit der Eremit von Breitbach wären, sondern en Stück Kaufmann wie ich, dann wären Se längst selber dadrauf gekommen, und ich braucht' Jhnen dat gar nit zu sagen."

„Nun bin ich doch gespannt," meinte der Hausherr und zog seinen Stuhl heran.

„Ganz einfach. Sie kaufen in den Dörfern Trauben auf. Sagen wir mal in Menzenberg un Bruchhausen. Die Zeiten sind durch dat verfluchte Kriegspack abscheu» lich, un die Leute brauchen all bar Geld. Da kriegen Se de Trauben billig. Un dann geben Se sich selber an't Keltern, wat Se nur können. Denn glauben Se 'nem erfahrenen Mann: der Wein wird rar und teuer in de nächste Jahr. „Der Krieg hat nit nur 'ne Magen, er hat auch en Gurgel. Und dat ganz bedeutend."

Wieder blieb es still im Zimmer. Der Hausherr sann vor sich hin. Dann sagte er aus seinen Gedanken heraus: „Jch hatte selbst schon einmal daran gedacht. Ganz flüchtig nur. Und es wäre ein großer Ausblick. Aber es geht nicht."

„Warum soll de Ausblick wohl nit gehen? Dat möcht' ich nu doch wissen."

Da sah der Alte von der Burg seinen Gast offen an.

„Jch habe augenblicklich nur einen Notpfennig. Für alle Fälle. Und den darf ich der Kinder wegen nicht angreifen."

Und der Gast antwortete: „Jch hab' auch einen Notpfennig. Aber ich darf den angreifen."

„Soll das heißen, Herr Schmitz, daß Sie — mir —"

„Ja, dat soll dat heißen. Nix für ungut, dat ich „mich einem so vornehmen Herrn aufdräng'."

„Mann, Mann! — Jch hätte ja nie geglaubt, daß ich im Leben einmal — ein Darlehen nehmen müßte."

„Früher hatten Sie ja auch nit vier Kinder. Dat ändert doch die Sach' gewaltig."

Der Hausherr war zum Fenster gegangen und hatte es geöffnet. Von draußen scholl der frohe Lärm der Weinlese herein, aus allen Weingärten, von allen Bergen, trotz des geringen Lohns der Arbeit festtagsfreudig. Und nun hörte er — ganz deutlich — die Stimmen seiner vier. Jhr Jauchzen schwang sich sorgenlos und kinderselig durch die Lüfte. ... Da atmete er tief, und seine Hand packte den grauen Bart.

„Herr Schmitz — hören Sie sie?"

„Die Burgkinder? Man kennt die Hähn' am Krähen."

„Und das Mädel!"

„Die hat en Schmeichelstimm' wie die Engel im „Himmel."

Die beiden Männer standen sich gegenüber. Sie betrachteten sich lange, und sie gefielen sich mehr als bisher. Denn einer hatte im anderen den Mann erkannt, den Mann, mit dem es sich lohnte, ein Wort zu tauschen und ein Glas zu trinken.

„Herr Schmitz — Sie haben doch selber einen Sohn und haben ein Geschäft."

„Mein Jung', der is selbständig. Der sitzt in Koblenz un kauft an der Mosel un an der Ahr. Jch hab' für mich dat rechtsrheinische Geschäft. Un et wächst, Gott sei Dank, noch immer Wein genug, dat mer sich über jeden anständigen Menschen, der unter die Weinproduzenten geht, freuen kann. Panscher sind genügend vorhanden, die uns allmitsammen den guten Ruf beschneiden. Dafür trink' ich selber viel zu gern en gut Glas. Na, dat sehen Sie mir wohl an."

Ein Schmunzeln lief über sein gepolstertes Gesicht, und der Hausherr lachte in sich hinein.

„Sie müssen," fuhr der starkleibige Mann fort, „auch nit glauben, dat ich dat so ganz umsons tu'. Jch bin hier über die Leut' durch dat viele Reisen en bißchen herausgewachsen, un nu sitz' ich bei die verdammte Kriegszeit wie die Katz im Loch un möcht' mich doch so gern un über so manches besprechen. Denn mir is, als käm' et noch viel schlimmer für unseren Rhein, un als müßten die rheinischen Männer Fühlung nehmen. Sehen Sie, Herr, dat is et. Die Frau is tot und der Jung' drüben für sich. Lassen Sie mich als zuweilen abends heraufkommen."

Der Hausherr streckte ihm die Hand hin.

„Das hätten Sie auch gedurft ohne Jhre Hilfe. Kommen Sie, so oft Sie nur mögen."

„Wir wollen jetzt mal zunächst dar Geschäftliche in Ordnung bringen. Die Keltergerätschaften stehen ja noch bei Jhnen im alten Kelterhaus. Die Herren Geistlichen haben sich dat früher nit nehmen lassen. Un heut, gegen Abend, gehen mr nach Bruchhausen 'rauf, da is die Lese soweit. Dann zeig' ich Jhnen an Ort und Stell', wie mr sich mit de Bauern darüber unterhält. Schicken Se mr nur vorher den Joseph. Der muß de Geldsack tragen."

„Und — die Sicherheit, die ich zu leisten habe?"

„Die Sicherheit — dat is mr Jhre Freundschaft un — der Wein, den Se keltern."

„Dann ist's gut. Und ich hoffe, der Wein wird Jhnen so danken wie meine Freundschaft."

„Dat hoff' ich auch. Un nu grüßen Se mr Jhre vier Burgkinder un lassen Se sich et Mittagessen gut schmecken. Bis nachher denn."

Elastisch wie ein Jüngling schritt der Hausherr durch den Garten zurück und zu seinem Weinberg. Da lasen Barbara und Joseph, der Hein, der Barchel, der Johannes und die kleine Sibylle in die Bütten und stürzten sie in die Bottiche. Und sie sangen sich die Neckverse zu, die sie von den Winzern und Winzerinnen in den Weinbergen ringsum aufgefangen hatten, und schrien vor Vergnügen.

„Junge müsse Wasser holle,
Mädche müsse schüere.
„Schliere mer nit,
Da blank et nit,
Da kütt och dinge Freier nit,"

Und die Jungen schrien es Sibylle zu, die mit einstimmte, und der Joseph sang es und die Barbara:

„Mädche, wann de freien wells,
Da frei am Pitter Jupp,
Der hat ene linge Kiddel an
Un schlägt de Fiddelafupp."

Und der Joseph ahmte mit Grunztönen das Musikinstrument nach, und die Kinder wollten sich ausschütten vor Lachen.

Wie das Bild dem Alten von der Burg wohltat. Seine Augen blitzten auf bei all dem jungen Leben um ihn her, und er spürte die eigene Jugend zurückkehren und durch das Blut rollen. Herrgott, fünfzig bin ich, fünfzig erst und heiß' der Alte.' Und er stieß, wie in seligen Knabenzeiten am Rhein, einen Juchzer aus, der von den Berglehnen widerhallte und nah und fern jauchzende Antwort weckte.

„Der Här, der Hör!" rief der Joseph und riß staunend die Augen auf. „Ha' mer geerwt?"
„Rheinisch Blut haben wir geerbt und rheinischen Mut!"
„Mer muß Gott för alles danke," meinte der Leichtbefriedigte und nahm seine Arbeit wieder auf.

Der Herr kam durch die Weinstöcke auf sie zu. Er prüfte mit den Fingerspitzen die Beeren wie ein alter Sachkenner. 

„Hör mal, Joseph, ich wollte dich etwas fragen. Kannst du nur Trauben lesen, oder kannst du auch Wein keltern?"
„Här, ich kann alles, wat verlangt werd."
„Hä es sugar eue perfekte Schnieder," warf die alte Barbara ein und beugte sich tiefer zwischen die Weinstöcke.
„Krieg du dich bei dinger eige Nas'. Wiever han lang Röck, äwwer kurze Verstand.“
„„Maach mr kein gecke Mcinncher, Juseph. Et steit nit zu dinge schön Geseech'."
„Wann mer de Fraunslück nit babbele läß', weer'n se vör der Zick al un gries," schloß Joseph den Disput. „Also, Här, ich kann alles, war verlangt werd. Da kann mer sich op verlosse we op en Evangelium."

„Und wenn du es noch nicht kannst, so wird es eben gelernt. Heute abend geht's nach Bruchhausen, zum Traubeneinkauf. Bis jetzt haben wir geträumt. Morgen soll's mit Gott und unserer Freude an die Arbeit gehen."

Es war ein seltsamer Zug, der sich in der Abenddämmerung den Höhenweg hinauf nach dem Dorf Bruch» hausen bewegte. Vorauf marschierte Joseph, und hinter sich zog er den alten Stallesel, der am Leibgurt zwei kurze, pralle Säcke trug. Jn geringer Entfernung folgten der Eremit von Breitbach und der starke Weinhändler Adolf Schmitz, beide in Jägerjoppen und Schmierstiefeln. Nach einer Viertelstunde war das Plateau erreicht. Da lugte schon aus der Mulde heraus das freundliche Westerwalddörfchen.

„Mir wolle uns mal verpuste," meinte der schwere Mann. „Dat soll nit aussehen, als ob mir uns wegen dere ihre Trauben extra so geeilt hätten. Beim Handel kommt alles auf kalt Blut an." Und er wischte sich den Schweiß.

Sein Begleiter stand und blickte über die Felder. „Da hoppelt ein Has — und dort ..."
„Sind Sie Jäger, Herr? Oho, dat wär eine feine Überraschung."
„Jch habe viel gejagt in meiner Jugend. Und später war mir das Weidwerk oft ein Trost."

„Ja natürlich. Sie tragen doch dat grüne Kamisol nit aus Alfanzerei. Weidmannsheil, Herr. Dat is meine Jagd hier oben, vom Honnefer Graben bis auf die Erpeler Ley. Un eine ganz ausgezeichnete Jagd."
„Sie sind ein glücklicher Mann, Herr Schmitz, Wein und Wildbret."
„Dar Glück will ich gern mit Jhne teile. Die Jagd „kostet bei dem Kriegslärm einen Pappenstiel. Die Gemeinden sind froh, wenn sich überhaupt en Pächter meldet. Treten Sie ein, un wir machen Halbpart."

Mit leuchtenden Augen blickte der andere über das Revier. „Wie schön das ist, Wald und Feld und Stoppelacker. Und die Flinte unterm Arm hinter dem Hund her. Die Kraft der Glieder spüren und das scharfe Auge! Wie das auffrischt und Herz und Seele freimacht in der freien Natur. Herrgott! Nein, ich schwärme. Es geht nicht."
„Jhren Kindern könnte dat gar nix schaden, von Zeit zu Zeit en saftigen Braten. Dat fördert et Wachstum."
„Den Kindern. Das glaub' ich auch. Aber — wir sprechen noch darüber. Wenn ich den ersten selbstgekelterten Wein verkauft habe."
„Der is schon so gut wie verkauft. Dat lass' ich mir nit nehmen. Für die Konkurrenz schafft der Adolf Schmitz keinen neuen Winzer, so weit geht meine Gutmütigkeit nu doch nit. Also nächste Woch' gehen wir auf die Jagd. Dat bleibt dabei. Un nu wollen mer machen, dat wir nach Bruchhausen kommen."

Jn den Häusern brannten schon die Öllampen, als sie durch die Dorfgasse zogen. Aber der weinkundige Mann kannte auch in der Dunkelheit seine Leute. Einmal trat er links an ein Haus, einmal rechts und pochte an die Läden. Dann hielt Joseph den Esel an und klopfte schein» heilig auf die kurzen, prallen Geldsäcke. Die Fenster taten sich auf, und eine Bauernstimme fragte nach dem Begehr.

„We es dat met de Druve, Pitter?"
„No, et wern zehn Legel sin."
„Jch kann nit sage, dat ich sie nüdig hätt. Äwwer us ale Freundschaft — der Herbst es nur zwei Driddel an Wert gegen et Vorjahr."
„Jch han minge Druve ooch nit gestohle."
„Dat 's mr egal. Schlecht Wedder muß mer met en der Kauf nemme. Juseph, maach ens der Geldsack op."

Da schnürte Joseph den einen der Geldsäcke auf und liebkoste die Taler, daß sie leise zwischen den Fingern klingelten.

„Maach flöck. Pitter, ich han noch mich zo don."

Der Bauer räusperte sich. Er wußte, daß das Angebot des Mannes da galt und kein Feilschen möglich war. 

„Noch en Drinkgeld, Herr Schmitz."
„Dann rechen us, wat du krigs."

Der Bauer rechnete auf der Fensterbank und nannte die Summe.

„Stimmt. Juseph, zahl us." 

Und während Joseph die Talerstücke dem Sack entnahm und auf der Fensterbank aneinanderreihte, sagte der Händler noch: 

„Die Druve brings du in et Kelterhus von de Obere Burg en Breitbach. Morgen in der Fröh. Gode Nacht." Und der Zug setzte sich wieder in Bewegung bis zum nächsten Winzerhaus. 

„We es dat mit de Druve, Jan?"

„Das dauerte, bis alle Sterne am Himmel standen und die Säcke geleert waren. Jn später Nacht langten sie in Rheinbreitbach an. Jn der Burg war nur die alte Barbara noch auf. Der Weinhändler verabschiedete sich kurz.

„Morgen früh komm' ich zum Keltern. Angenehme Ruh, Herr Nachbar. Gode Nacht, Juseph."

Als der Hausherr durch das Schlafzimmer der Kinder schritt, war der Hein noch wach. „Vater, ich mußte dich noch einmal sehen."
„Gib mir einen Kuß, Jung. Das war ein froher Tag. Nun kommt erst das wirkliche Leben." —

Und es kam. Kaum graute der Tag, da fuhren schon die Bruchhäuser Bauern ihre Trauben vor das alte Kelterhaus der Burg. Und der Joseph grüßte mit lachendem Gesicht den Hausherrn und die Kinder, die heute alle heran mußten zum Helfen und Schaffen, und den schlafgeröteten Adolf Schmitz, der sich seit Jahren nicht so früh aus den Federn gemacht hatte, es wäre denn der Jagd wegen gewesen.

„Na, nu herein in die Bütten."
Und die Kinder bekamen Säcke über die Kleider gebunden und sprangen jauchzend in die Trauben hinein, daß der Saft spritzte, und der Joseph half mit seinen schweren Stiefeln nach, bis dunkelrot die flüssige Masse quoll und in die Bottiche abgeschüttet werden konnte.

„Dat sieht nit besonders lecker aus," meinte Adolf Schmitz, „aber all de Dreck gärt aus dem Most heraus oder schlägt sich später als Hefe nieder. Laßt dat man erst so'n blitzblank Weinchen werden, un de feinste Dam' trinkt dadrin mit euch Brüderschaft."

Und die Kinder sprangen und stampften und sangen dazu aus voller Kehle:

„Herr Bruder zur Rechten, Herr Schwager zur Linken,
Wir wollen einander em Schmollis zutrinken!
Auf das Wohl der Allerschönsten, die da lebet auf Erden,
Von der ich einst wünsche geliebet zu werden."

Und der Joseph ließ seine Wasserstiefel wie ungeheure Mostkolben arbeiten und sang dazu wie ein Wüterich immer den gleichen Vers:

„Bumsvallera, die Welt ist wunderschön —
Bumsvallera, die Welt ist schön!"

Da füllten sich die Bottiche schnell, und als der Mittag kam, schwamm der Most in den Kufen, und die Kinder saßen heiß und erregt von ihrer ersten Lebensarbeit um den Tisch bei der Barbara.
„Jetzt bringen wir ihn auf die Lagerfässer," belehrte der Weinhändler, „da kann sich der Federweiße vier Wochen lang ausstürmen. Dann setzt sich die Hefe schön unten im Faß, und der Wein klärt sich. Jm Februar stechen wir ihn von der Hefe auf frische Fässer ab un im April zum zweitenmal. Jm Sommer is der Wein trinkbar. Länger Lagern wär besser, aber für Franzose und Kroate wollen mer doch nit gern dat Beste hergeben. Das war wahrhaftig nit patriotisch."

... Von dieser Stunde an konnte man die massige Gestalt fast täglich ins Tor der Burg einbiegen sehen. Und die Männer besprachen die Behandlung und Pflege des Weins und die Anlegung neuer Weinberge im Frühjahr. ,,,


... Als das Frühjahr kam, schwiegen Spiel und Tanz. Was Hände hatte, mußte zum Schaffen heran. Die Rosen wurden aus der Erde hochgerichtet und der Garten gesäubert und gefegt zur Hochzeit mit dem Frühling. Jm Gemüsegarten aber wurde geschaufelt und gehackt, Beete gezogen und besät, vom Morgen bis zum Abend. „Denn," so belehrte Joseph die arbeitenden Kinder, >,mr sin zwar ärm, äwwer mer „wolle gut läwe."

Der Hausherr schritt unterdessen mit dem Freunde Schmitz neugekauftes Gelände ab. Hier sollten neue Weinberge erstehen, die die Zukunft der Kinder gewährleisteten. Als die Vorarbeiten im Gemüsegarten beendet waren, trat Joseph mit den drei Knaben an. Und der Vater griff zuerst zur Hacke. Ob auch der Schweiß den Nacken hinabfloß, ob auch die Handflächen brannten und der Rücken sich zog, die Jungen waren stolz, als arbeitende Männer betrachtet zu werden, und rückten den Älteren nicht von der Seite. Viele Ellen tief hieß es den Boden roden, bis die Urmutterkrume oben lag, die gebärungsfreudige. Dann wurde die Maßschnur abgewickelt, und die Reihen für die Setzlinge wurden gezogen, in genau bemessenem Abstand voneinander.

„Ha, dat is en Freud," meinte der starke Weinhändler. „En Weinberg anlegen is wie 'ne Kapell' bauen. Denn richtig Weintrinken, dat is wie richtig Beten, und beides is en Gottesdienst.“

„Nach heißen Mühen war die Arbeit vollbracht, und die Knaben begutachteten das Werk und gingen wie Erwachsene einher und nickten ernsthaft zu den Worten des weinkundigen Mannes.

„Jetzt lassen mr die ersten zwei Jahre wachsen, wat wachsen will, hacken ein paarmal und lassen kein Unkraut aufkommen. 
Jm Herbst wird gedüngt und die Stöcke zugedeckt. 
Wann mr et drittemal im Frühjahr hier stehen, schneiden mr die Zweige bis auf ein Aug' zurück un binden de Stöck an de Pfähl. 
Un et Jahr drauf schneiden mr vor dem Safttrieb un beten zum Sankt Peter um gut Wetter. Aber kräftig. Denn dann erst — kommen de Trauben."

„Solang' müssen wir warten?" riefen bestürzt die Kinder.

„Gut Ding will Weil' haben. Jhr wollt doch auch erst allerhand Jahr gut erzogen werden, bevor mer euch auf die Menschheit losläßt. Der liebe Herrgott macht aber kein' Unterschied zwischen Menschen un Weinstöck'. Da seht ihr mal widder, wat dat für en edel Ding is, der Wein."

„Jm Juli lud der Hausherr den Freund zu einer Kellerprobe. Die beiden Männer waren allein. Andächtig senkten sie den Heber ein, andächtig füllten sie das Glas — und prüften.
„Alles wat Recht is," sagte der Freund, „alles wat Recht is," und er ließ eine neue Probe auf der Zunge spielen.
„Wirklich? Hat er Jhren Beifall?"
„Dat sind die besten Fuder, die im Letztjahr hier in der Gegend gekeltert sind."
„Jst das — Jhr Ernst, Herr Schmitz?"
„Beim Wein hört der Spaß auf — oder er fängt nie an."
„Also er ist — verkäuflich?"
„Dat Sie sich nit unterstehen, den zu verkaufen. Der gehört mein. Un wenn ich hundert Jahr drüber werden müßt, den leg' ich in den Keller un drink' ihn alleine." Er dachte nach, und dann nannte er einen Preis.

„Das wäre ja — das Dreifache von dem, was Sie mir vorgestreckt haben?"
„Sie müssen wirklich einen netten Begriff von uns Weinhändlern haben, dat Sie sich darüber so wundern. Jch bitt' mir aus, dat ich für einen ehrlichen Mann gehalten werd', und dat ich wat vom Geschäft versteh'. Der Wein hier is nit nur ene gute Traube, er is auch prima behandelt, un dafür hat nit jeder ene glückliche Hand. „Geben Se mir noch en Glas."

Sie stießen an, und der starkleibige Mann ertrug ruhig den Blick des Graubärtigen.
„Nun lobe ich Gott im Wein," sagte der lächelnd, sann in die Ferne und trank.
„En echter Wein is dem Herrgott lieber als en falsch Paternoster. Un et war wahrhaftig besser um de Welt, wenn et mehr gute Winzer gab' als schlechte Pfaffe."

... Jhre Freundschaft war fester als je, als sie den Keller verließen und ihrem Tagwerk nachgingen. — ...

... 
Von dieser Stunde an waren sie unzertrennlich geworden. War die Arbeit daheim, war die Arbeit im Weinberg und Feld geschehen, so winkten sie sich mit den Augen und flogen aus. Hand in Hand oder einer den Arm um die Schulter des anderen geschlungen. Nie sprachen die beiden jungen Menschenkinder von Liebe, nie von zweisamen Zukunftsplänen. Sie fühlten nur, daß sie beisammen waren, und daß es ihnen gut tat über die Maßen.

Jede Handbreit heimatlichen Landes machten sie sich zu eigen, und wenn sie erst eine Erinnerung damit verknüpften, einen Sonnenaufgang, der die Bergkuppen in weiter Runde mit einer flammenden Borte zierte, eine Mondnacht, die die Weite und Tiefe mit glitzerndem, gleitendem Silber füllte, einen langen, atemlosen Marsch mit zähem Klettern auf die Basaltspitzen oder einen schnellen Kuß nach raschem, sicherndem Rundblick — so nannten sie das: das Land erobert haben.

Weg und Steg im Siebengebirge kannten sie zur Tag- und Abendzeit, und in den Trümmerhaufen der Ruinen tat ihr Fuß keinen Fehltritt. Stundenlang lagen sie und staunten vom Drachenfels nieder in den Garten Deutschlands, stundenlang träumten sie im grüngoldenen Buchenwald, der den Klosterfrieden von Heisterbach hütete, und hörten die Nachtigallen schmettern und locken. Am liebsten aber streiften sie über die Breitbacher Halde, bis sie im Walde die Bergwerke fanden, den Virneberg und den Marienberg, deren Gänge seit der Kriegszeit verlassen lagen. Das war eine neue, geheimnisvolle Welt und war schon so alt, daß die Römer sie gekannt und angebaut hatten.

Sie saßen vor den Schächten und horchten hinein.
„So möcht' ich wohl in dein Herz hineinhorchen „können, Sibylle."
„Meinst du, es wäre auch so verlassen wie der Schacht?"
„Jch meinte, daß darin ebensoviele Reichtümer liegen, du Spottteufelchen, aber jetzt meine ich es nicht mehr."
„Die edeln Erze liegen immer im Quarz, Hein. So einfach ist das nicht. Klopf, klopf, Hämmerlein."

Da kroch er in die Stollen und ließ sich von seinem halsbrecherischen Tun durch kein Bitten zurückhalten. Und als er nach geraumer Zeit wieder auftauchte, hatte er die Tasche voll blitzender Erzstückchen, haarförmiges Rotkupfer, grünen, traubenförmigen Malachit und bunten Opal. 
Das breitete er alles vor ihr auf den Rasen.
„Siehst du wohl, Zweiflerin? Man muß sich die Mühe nur nicht verdrießen lassen."
„Hast du es gern getan, Hein?"
„Für dich tu' ich alles gern!"

Sie lag in ihrem weißen Kleid hingestreckt im Waldmoos, Sonnenlichter auf Hals und Haar, und das alte Bergwerk hatte noch kein edleres Juwel gesehen.
Und er beugte sich über sie und legte sein Ohr auf ihr Herz und hob wieder den Kopf und sah, daß ihre Augen weit aufstanden. Da küßte er sie auf die Augen, als müsse er ihren Blick aus der Weite in die Nähe bannen, und küßte ihre Lippen, auf denen die warme Sonne lag, und sie hielt seinen Kopf mit ihren beiden Händen.“


VII

... „Js gut. Dann wolle mir die Jünglinge jetz auch mal drinke lasse." Und mit rollendem Lachen hob er sein randvolles Glas gegen den Hausherrn, brachte es an die Lippen und trank es in tiefem Zuge leer....
„Sehen Sie, Schmitz, wie das schmeckt? Jm Zorn bekommt's nicht. ...


... Wenige Tage vor Weihnachten setzte eine bittere Kälte ein. Die Winzer und Bauern kamen nicht aus ihren Behausungen hervor, und das Dorf und das Land lag ohne Laut. Der alte Schmitz aber, der seit Jahresfrist die Geschäfte des Gemeindevorstehers führte, mußte fehr Wichtiges haben, daß er mit eisverklebtem Bart und unter seinem Körpergewicht schnaufend den Weg nach der Burg suchte.

„Das ist eine angenehme Überraschung," begrüßte ihn der Hausherr.
„Die Überraschung kömmt erst, un ob sie gar so angenehm is, dat möcht' ich für meine Person doch erst dahingestellt sein lassen."
„Jedenfalls freue ich mich, daß Sie da sind. Also nur heraus mit der Neuigkeit."
„Geben Se mir en Glas Rotwein. En bißchen angewärmt, wenn ich so frei sein darf. Jch schluck' als beständig Eis."

Der Hausherr holte selbst den Wein, wärmte ihn über dem Kaminfeuer an und schenkte die Gläser voll. Der alte Schmitz schnupperte daran, winkte dem Freund mit dem Glas zu und trank in langsamem Zuge.
„So," meinte er, „jetzt hätten wir uns gestärkt. Setzen Sie sich. Ja, wat helfen da die Umschweif'. Also die Burg kömmt unter den Hammer."
Der Hausherr saß, ohne sich zu bewegen. „Jch habe es längst befürchtet," sagte er dann und tat einen schweren Atemzug.
„Jch auch, Freund, und wir haben ja als wohl mal darüber gesprochen. Die Burg gehört nach Köln, un dat linksrheinische Kirchengut is schon seit Jahr un„Tag meistbietend versteigert. Jetz geht et an die rechtsrheinischen Liegenschaften, un nu wären wir an der Reihe."

„Haben Sie einen Vorschlag, Schmitz?"
„Ja, wissen Se, ich komm doch nit her, um mit Jhne Trübsal zu blasen. Der Vorschlag, der liegt doch auf der Hand. Sie müssen dat Dings selber erstehen."

„Das kann ich nicht, Schmitz. Sie wissen selbst am besten, über welche Mittel ich verfüge. Und wenn ich sie auch hergäbe und Sie mir für das Fehlende beisprängen, es würde eine zu schwere Belastung sein. Jch bin jetzt sechzig und darf die Kinder nicht festlegen."

„Selbstverständlich nit. Obwohl uns die Sechzig wahrhaftig nit drücken. Ja, glauben Sie denn, wir wollten dem Kaiser Napoleon wat zu verdiene geben? Der soll sich dat Maul wischen, wenn ich mitzureden hab'." „Sie haben aber leider nicht mitzureden." 

„Wat?" lachte der starke Mann grimmig. „Ich nit mitzureden hier am Ort? Dat war et Neuste. Na, da werd ich Jhnen doch wohl eine andere Meinung vom Adolf Schmitz beibringe müssen. Zunächst bin ich hier der Gemeindevorsteher. Un zum zweiten hab' ich von oben her soeben die Weisung erhalten, mich dem Kommissar, den se von Köln herschicken, zur Verfügung zu stellen un Kauflustige aufzubieten.

„Da hab' ich denn heute früh schon einen Eilboten nach Köln abgefertigt, dat ich den Herrn Kommissar am vierundzwanzigsten Dezember erwarten möcht. Dat wäre der geeignetste Zeitpunkt." „Herr Gott — am Christabend?" Dem alten Schmitz schien des Freundes Schreck ein Vergnügen zu bereiten, denn er rieb sich behaglich die Hände. „Zunächst," meinte er, „is et jetz grad so kalt, dat die Leut nit gern lang auf der Straße stehen. Un zum zweiten hat am Christabend kein Mensch Geld. Un zum dritten, wenn doch einer Geld aufbringen sollt oder auf Spekulation kaufen wollt, donner ich den an, dat er et Maul hält. Dat letztere will ich aber lieber schon vorher besorgen un gleich heut damit anfangen, meine Kunden im Dorf der Reihe nach zu besuchen.
„Von auswärts kömmt am Christabend doch kein Mensch, un kömmt einer, dann lad ich ihn zu nem Glas Wein ein und sauf en untern Tisch, so wahr ich Adolf Schmitz heiß un dat sehr gut kann. En Gebot soll mir der jedenfalls nit mehr abgeben."
Der Hausherr mußte trotz seiner Sorgen lächeln. „Lieber Schmitz, wenn die Sache allein mit rheinischem Humor zu behandeln wäre —"

Den aber packte plötzlich der Zorn.
„Wenn nit mit Humor, womit denn sonst?" rief er und schlug auf die Tischplatte. „Wenn ich jeden Dreck im Leben ernst nehmen wollt', dann war dat Leben ja en Martyrium. Daran gehen die meisten Menschen zugrund, dat sie alles, wat ihnen in die Quere kömmt, für dat allerwichtigste in der Welt nehmen un sich als die Kreuzträger der Menschheit fühlen. Als ob nit dat ganze Leben un für jedermann aus lauter großen un kleinen Quengeleien un Knüffen un Püffen zusammengesetzt wär, wenn — ja, wenn et eben nit den Humor gab, um sich auf anständige Weis' damit abzufinden. Humor, dat is„kein Leichtsinn un kein Drüberweghuschen, wie die schlappen Mucker un Tränensack meinen. Humor, dat is ein Drüber» stehen un eine ganz besondere Gotteskraft, mit der wir uns dat graue Elend aller Vergänglichkeit mannskräftig vom Leib halten. Un dat sag ich Jhnen, Freund, wir packen die Sach' mit Humor an und zwingen se, oder wir nehmen die Kapp ab un gehn mit de Prozession beten."

Er zog die Flasche auf der Tischplatte heran, schenkte sein Glas voll und trank es leer.
„Wir packen die Sache mit Humor an," sagte der Hausherr, und seine Augen hatten den klaren Glanz.
„Na, sehen Se, wie dat gleich die Tatkraft beflügelt?" meinte der Freund und erhob sich. „Mr muß nur bei jedem Hagelwetter denken: dat is ja noch gar nix; et soll Hagel geben, knubbeldick wie Hühnereier; da hab' ich ens widder Glück gehabt."

Und er wand sich den gestrickten Schal um den Hals, stülpte die Ohrenklappenmütze auf und schüttelte„dem Hausherrn die Hand. „Also auf Wiedersehen denn. Jch will jetz mal in de Gemeinde rundgehen un ,Kauflustige' aufbieten. Jch bin grad in der rechten Stimmung."
Und mit seinem rollenden Lachen stapfte er durch den Hausflur und durch den scharfen Frost dem Dorfe zu. — ...

... Unermüdlich arbeitete der Hein mit den Leuten in den Weinbergen und auf den Feldern. Und das Gütchen dehnte sich und wuchs mählich und mählich zu einem stattlichen Weingut heran. ...


... Unerklärlich lang dehnten sich ihm die Tage und Monate. Es war ein merkwürdiges Jahr, heiß und trocken. Am Himmel zeigte sich ein großer Komet, und man schrieb ihm ein gutes Weinjahr zu und schweres Kriegsunglück. Die erste Prophezeiung erfüllte sich auf der Stelle. Um die Mitte des September schon mußte mit der Lese begonnen werden, so reif und voll hingen die Trauben an den Stöcken. Dem Alten von der Burg lachte das Herz im Leib, als der Segen aus den Keltern quoll. Und der alte Schmitz, der mit funkelnden Augen neben dem Freund stand, klopfte ihm auf den Rücken und meinte: „Von heut an — von heut an hat die Burg keine Schulden mehr. Der Elfer! Geben Sie gut acht! Der Elfer!" ...


...  Der Eremit von Breitbach kam von einer Zusammenkunft, die er mit den Vormännern des Siebengebirges in der Stadt Siegburg gehabt hatte. Stundenlang war er mit seiner Kalesche über Landstraßen und Feldwege gefahren, der Straßenkot hing ihm in Bart und Kleidern, das Pferd dampfte und schauerte vor Ermüdung. Aber der Alte saß frisch wie ein Jüngling, als er sein Gefährt in die Dorfgasse lenkte. Und am Hause des alten Schmitz pochte er mit dem Peitschenstiel an die Scheiben und rief dem hastig öffnenden Freund im Vorüberfahren zu: „Schnell! Auf die Burg!"
Da war der alte Weinhändler trotz seiner Körperfülle die Gasse hinauf und zum Burgtor hinein, bevor das Pferd aus der Deichsel war.

„Nachrichten? Wie? Nachrichten—gekommen?" stieß er, außer Atem, hervor und griff dem Hausherrn an die Brust.
„Ja, Nachrichten. Kommen Sie herein." Und er rief den Barchel und den Joseph ins Zimmer.
„Menschenskind. Sprechen Sie. Jch komm'um. Gute Nachrichten?"
„Mehr als gute. Siegesnachrichten. Der Kaiser — „ist auf der Flucht."

Da hob der alte Schmitz die Arme, als ob er sie gen Himmel recken wollte, fiel vornüber und dem Freund schluchzend an die Brust.
Und der Alte von der Burg hielt ihn fest in seinen Armen.
Dann sagte der alte Schmitz und suchte in den Rocktaschen nach seinem Schnupftuch: 
„Dat is dat erste Wasser, dat ich seit dem Tod meiner Frau in et Gesicht gekriegt hab'. Einem Weinhändler steht Wasser nit gut an. Aber dat soll mir heut tout sein. Seht 'r, ich kann auch Französisch. Un nu erzählen Se, Freund, nix als erzählen.“ ...


...  Die guten Gedanken, die die Männer tauschten, wurden zu Taten. Klug und sparsam hatte der Alte von der Burg die Bewirtschaftung geführt, und die Arbeit von zwanzig Jahren hatte Weingüter und Felder schuldenfrei gemacht und ihre Erträgnisse gesteigert. 
Stand ein schlechter Herbst zu erwarten, so war es der alte Schmitz, der ihn schon in der Blüte des Weinstocks und den Anzeichen der Witterungsverhältnisse voraussah und den Freund bestimmte, Verkäufe vom Lager nur so spärlich vorzunehmen, daß man die Kundschaft nicht verlöre. 
„Jm nächsten Jahr, wenn der Nachwuchs ausgeblieben is, erzielen wir dann dat Doppelte, un die Leut sind uns obendrein dankbar, dat wir se aus der Verlegenheit erlösen." 
Die guten und mittleren Herbste wurden nicht im Rausch der Freude billig verschleudert, sondern in kaufmännischer Voraussicht auf die Reserven verteilt, manches Fuder, das eine besondere Probe ergab, auch mit besonderer Liebe gepflegt und bewahrt, damit sich sein Wert in der „Reife verdreifache.

Je mehr der Herbst vorrückte, desto arbeitsamer trat in diesem Jahre der Hein auf den Plan. Ein Teil der ersparten Kapitalien wurde ihm vom Vater übergeben, damit er in weiterem Umkreise die Trauben auf dem Stock aufkaufe. Denn es war den Winzern sehr darum zu tun, jetzt, nach Friedensschluß, die verwahrlosten Weinberge wieder in Ordnung zu bringen, und dazu bedurften sie des baren Geldes, nicht zuletzt zu ihrem und ihrer Leute Unterhalt. Man erwartete von dem Fürstenkongreß, der zu Ende September in Wien zusammengetreten war, eine lange und glückliche Friedenszeit und gedachte überall, sich von Grund aus darauf einzurichten.

Der Hein las fleißig die Zeitungen, die von dem langsamen Dahinschleichen des Kongresses berichteten und nicht genug von den kleinlichen Zwistigkeiten der handelnden und feilschenden Herren zu erzählen wußten, und er traf Fürsorge, Keller und Scheuern zu füllen für den Fall einer neuen Verwicklung unter den Verbündeten selbst.

„Was er dachte und in seinen Plänen ausarbeitete, teilte er Sibylle mit, und sie stärkte oft die Kühnheit eines Vorgehens, das den bedächtigeren Alten zu weit erscheinen wollte. „Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Der Hein ist nicht der Mann, der die Hände in den Schoß legt und auf Sonne und Regen wartet und sich wundert. Freuen wird ihn nur, was er sich selber errungen hat."
Dann wurden die Pläne noch einmal durchgesprochen, und der Hein führte sie aus.

„Jch hab' mir da 'nen gefährlichen Konkurrenten heran» gezüchtet," meinte der alte Schmitz, „aber mein Sohn in Koblenz is nu mal mehr für Mosel- und Ahrweine, un für mich reicht aus, wat ich an alten, guten Beziehungen hab'. Da kann et mich nur freuen, wenn sich der richtige Mann für den Rheinwein widder findt, denn dat is nu emal so un läßt sich nit aus der Welt schaffen: der Rheinwein is un bleibt der König aller Weine."
„Aber Sie trinken doch auch gern den anderen, Schmitz?“
„Mein Gott, mer kann doch auch nit immer ein un datselbe Mädchen küsse.“ ...

Auszug aus: Rudolf Herzog. „Die Burgkinder.“ iBooks.